Nachruf zum Tode von Dr. h. c. Jürgen Ahrend von Prof. Harald Vogel

Im Alter von 94 Jahren hat uns Jürgen Ahrend am ersten Augusttag 2024 verlassen. Alle, die ihn kannten, erschien sein Alter ein Paradox: Er wirkte stets jung, innovativ und Energie geladen. Seine Orientierung ging in die Zukunft. Die Vergangenheit spielte in seinem Wirken zwar eine große Rolle, aber sie diente in erster Linie als Quelle von Exzellenz. Die historischen Orgeln interessierten ihn vor allem in dem Bestreben, seine Profession besser zu machen. Er hat die bedeutendsten Orgeln Norddeutschlands restauriert in dem Sinne, dass er ihre Funktion nachhaltig konsolidierte, die Klangspuren der alten Orgelbauer bewahrte und respektierte, das historische Material erhielt und im Sinne der Erbauer adäquat ergänzte, bei den Fehlstellen die ursprüngliche Ästhetik berücksichtigte und schließlich ein klangliches Gesamtergebnis erreichte, das ohne persönliche Umdeutung auskam. Er war ein vorbildlicher Interpret des Vorgefundenen. Diese Werkbeschreibung gilt auch für die Orgeln in den Niederlanden und in den Alpenländern, die er restauriert und in manchen Fällen gerettet hat. Jürgen Ahrend hat die historischen Orgeln nicht kopiert. Sein Bestreben war das Herausfiltern der exzellenten Qualitäten und die Realisierung einer Klang- und Spielästhetik, die einerseits sich - im Sinne der Orgelbewegung – vom spätromantischen oder symphonischen Stil abhob und andererseits ein neues Konzept entwickelte, das es in der Konzentration der Klangressourcen sowie der Anschlagssensitivität bisher nicht so gab. Einen wesentlichen Anteil an diesem Konzept einer „zeitgenössischen Orgel“ hatte Gerhard Brunzema, der in den ersten 17 Jahren seit der gemeinsamen Werkstattgründung 1954 in Leer (Ostfriesland) gleichberechtigt an allen Entscheidungen beteiligt war. 1971 trennten sich die Wege. Jürgen Ahrend führte die Werkstatt in Leer-Loga weiter und Gerhard Brunzema hielt in Kanada und den USA äußerlich am Bauhausstil fest. Jürgen Ahrend war in den 51 Jahren seiner selbständigen Tätigkeit der Klanggeber. Er hat alle Pfeifen, die aus der Werkstatt kamen, intoniert. Sein Wahlspruch war: „Hier kocht der Chef“. In dieser Hinsicht war er konsequenter als Arp Schnitger.

Die Nachfolge in der Werkstatt Ahrend bleibt in der Familie. Seit 2005 führt der Sohn Hendrik Ahrend die Werkstatt mit dem gleichen Exzellenzanspruch weiter und dessen Sohn Paul hat bereits sein Gesellenstück abgeliefert. In dieser Hinsicht ist sogar eine Parallele zur Orgelbauerfamilie Schnitger zu beobachten, die auch in drei Generationen im 17. und 18. Jahrhundert tätig war. Die Werkstatt Ahrend war und ist auch ein Exportunternehmen. Die hier entstandenen Instrumente sind in Europa, Nordamerika, Asien und Australien zu finden. Die Klangästhetik ist in den meisten Fällen elegant kammermusikalisch, wobei viele Elemente – wie die auf Länge geschnittenen offenen Pfeifen, die Gedacktpfeifen mit zugelöteten Deckeln, die Prospektpfeifen ohne Bärte, die vorzügliche Ansprache der Zungenstimmen oder die Fülle unterschiedlicher Stimmungssysteme – bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem Maßstab wurden. Diese Bauweise ist weiterhin weltweit für viele Orgelbauer vorbildlich. Vorbildlich und für die Auftraggeber attraktiv ist auch der geringe Pflege- und Stimmungsbedarf der AhrendOrgeln. Die Werkstatt Ahrend hat in dieser Hinsicht Maßstäbe für die Nachhaltigkeit geliefert. Jürgen Ahrend war nicht nur Konzeptentwickler, Konstrukteur oder Intonateur, sondern auch Musiker. Er konnte seine Instrumente sehr gut spielen. Sein Hauptinstrument war die Querflöte. Ich kann mich noch gut an die Ingebrauchnahme der neuen Orgel in der reformierten Kirche in Bremen-Farge im Jahre 1958 erinnern, als Jürgen Ahrend mit dem Instrumentenbauer Martin Skowroneck und weiteren Gästen in einem Flötenquartett spielte. Aus der heutigen Perspektive können wir feststellen, dass Jürgen Ahrend zu den wichtigsten Orgelbauern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte. Sein Orgeltyp ist neu und alt zugleich: Neu in der Konzentration der Klangressourcen, alt in der Klangexzellenz und zukunftsweisend in der Nachhaltigkeit der Bauweise. Jürgen Ahrend war ein Weltorgelbauer.

November 2024

 

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